Jenny Morgan

Ein Morgen in Edgewood

Dawn City, Kalifornien – 7. August 1985

Die Sonne war gerade erst über den Horizont gestiegen, und die Straßen von Edgewood, einem ruhigen Vorort von Dawn City, lagen noch still da. Nur das Summen der Sprinkleranlagen und das gelegentliche Grollen eines vorbeifahrenden Wagens durchbrachen die morgendliche Ruhe. Die Maple Avenue war eine typische Straße in diesem Vorort: Reihen kleiner Einfamilienhäuser mit schmalen Vorgärten, einigen gepflegt, anderen überwuchert. Die Morgensonne spiegelte sich in den Fenstern des Hauses Nummer 17, einem zweistöckigen Gebäude mit leicht abblätterndem weißen Anstrich und einem zerbeulten Briefkasten, der mit bunten Aufklebern verziert war.

Im zweiten Stock, hinter einem halb geöffneten Fenster, begann ein neuer Tag für Jenny Morgan.

Jennys Zimmer war eine Mischung aus Chaos und Ordnung, aus Kindheit und Erfindungsgeist. Die eine Hälfte war von Postern mit Motiven aus Science-Fiction-Filmen wie Tron und Star Wars bedeckt. Auf ihrem Nachttisch lag ein zerfleddertes Notizbuch mit handgezeichneten Skizzen von Maschinen und Konstruktionen, die es nur in Jennys Vorstellung gab. Die andere Hälfte des Raumes war ein regelrechtes Techniklabor: Ein improvisierter Arbeitstisch war mit Lötkolben, Drähten und kleinen Platinen bedeckt, daneben stapelten sich Werkzeuge und halb zerlegte Geräte.

In der Ecke ihres Zimmers stand ein alter Fernseher, den sie zu einem Monitor für ihr selbstgebautes Computersystem umfunktioniert hatte. Die Bildröhre summte leise, während der Bildschirm in grünen Buchstaben die Worte „System bereit“ anzeigte. Jenny hatte in der vergangenen Nacht daran gearbeitet, ein neues Programm zu schreiben – ein Versuch, die Frequenzen eines alten Radios mit einem Kurzwellenscanner zu kombinieren. Es war ein Projekt, das niemand außer ihr verstand, und genau das liebte sie daran.

Jenny saß auf ihrem Bett und inspizierte die Schaltkreise eines defekten Walkmans, als ihre Mutter, Elizabeth Morgan, aus dem Flur rief: „Jenny! Es ist halb acht, und du hast noch nicht mal gefrühstückt! Komm runter, sonst bist du wieder zu spät zur Schule!“

Jenny ließ den Walkman sinken und seufzte. Sie liebte ihre Mutter, wirklich, aber Elizabeth war eine Meisterin darin, sie an Dinge zu erinnern, die Jenny unwichtig erschienen – wie Frühstück oder Pünktlichkeit. Trotzdem wusste sie, dass es keinen Sinn hatte, zu widersprechen. Sie schnappte sich ihre grüne Army-Jacke, auf deren Schulter ein selbst genähter Aufnäher mit der Aufschrift „Tinker Queen“ prangte, und stapfte die knarrende Treppe hinunter.

In der Küche war bereits Bewegung. Ihr Vater, Richard Morgan, ein Mechaniker in einer kleinen Werkstatt am Stadtrand, saß am Küchentisch und las die Lokalzeitung. Auf dem Tisch standen zwei Tassen Kaffee, eine dampfende für ihn und eine leere, die er offensichtlich für Jenny bereitgestellt hatte.

„Morgen, Schraubenschlüssel“, sagte Richard ohne aufzusehen. Es war sein Spitzname für sie – eine Mischung aus neckendem Humor und stolzem Respekt.

Jenny grinste, griff nach einem Apfel aus der Obstschale und nahm einen Bissen. „Morgen, Drehmomentschlüssel“, konterte sie, während sie sich auf den Tisch stützte.

Elizabeth, die gerade Pfannkuchen in einer Pfanne wendete, warf ihr einen strengen Blick zu. „Ein Apfel ist kein Frühstück, Jenny.“

„Ich bin nicht hungrig“, murmelte sie mit vollem Mund.

Mit ihrem überfüllten Rucksack über der Schulter und dem Apfel in der Hand schlenderte Jenny die Maple Avenue entlang. Die Straße war am Morgen noch ruhig, und das Licht der aufgehenden Sonne ließ den leichten Nebel über den Rasenflächen der Vorgärten glitzern. Einige Nachbarn standen bereits draußen – Mr. Henderson, der alte Mann mit der Vorliebe für Kurzwellensender, winkte ihr zu, als er seine Antenne justierte. Jenny hob kurz die Hand zum Gruß, während sie sich fragte, ob sie ihm eines Tages den Empfang für mehr als drei Sender ermöglichen könnte.

Die Maple Avenue mündete in die Main Street, die Hauptstraße von Edgewood. Hier wurde es lebhafter: Autos brummten vorbei, und die Schulkinder sammelten sich an den Haltestellen, während Eltern mit eiligen Bewegungen Frühstückstüten und Rucksäcke in Minivans luden.

Jenny mied die Bushaltestelle, wo die anderen Teenager lautstark über die neuesten Schulklatschereien redeten. Stattdessen nahm sie ihren gewohnten Weg zu Fuß über die Seitenstraßen. Der kleine Umweg brachte sie an ihrer Lieblingsstelle vorbei: einem stillgelegten Schuppen, dessen Außenwände von Graffiti überzogen waren. Dort hatte sie eines ihrer ersten Projekte durchgeführt – ein altes Fahrrad repariert, das sie am Straßenrand gefunden hatte. Die Erinnerungen an ihre stillen Nachmittage dort ließen sie lächeln.

Ihr Weg führte sie weiter über eine alte Fußgängerbrücke, die den kleinen Cedar Creek überquerte. Die Brücke war alt und rostig, und die Holzplanken knarrten bei jedem Schritt. Jenny liebte diesen Ort. Hier hielt sie oft inne, lehnte sich an das Geländer und beobachtete das glitzernde Wasser, das unter ihr hindurchfloss.

Hinter der Brücke lag die letzte Etappe ihres Schulwegs: der Weg entlang der Edgewood High School Grounds. Der Anblick des großen, roten Backsteingebäudes mit seinem weißen Schriftzug „Edgewood High“ ließ sie wie jeden Morgen ein wenig seufzen. Für Jenny war die Schule ein notwendiges Übel. Es war nicht so, dass sie nichts lernen wollte – sie liebte Wissen –, aber sie hatte das Gefühl, dass die Schule zu langsam war, zu einengend für ihren neugierigen Geist.

Am Eingangstor traf sie auf Sam Lee, ihre beste Freundin. Sam war wie immer in Bewegung, ihre bunten Schnürsenkel wirbelten, als sie ein paar schnelle Breakdance-Moves vorführte. „Morgen, Jenny! Schon wieder spät dran?“, neckte sie mit einem breiten Grinsen.

„Ich nenne es perfektes Timing“, erwiderte Jenny trocken und zog ihre Schutzbrille zurecht, die wie immer auf ihrer Stirn saß.

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